Forschungsprojekt RE-USE
Potenzial zur systematischen Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten im regionalen Kontext und Realisierung eines Pilotprojektes

Forschungsnehmer: Prof. Dr. Thomas Stark
Projektleiterin: Dr. Viola John

 

Kurzfassung

Die großen Herausforderungen des nachhaltigen Bauens im Bereich Ökologie liegen zukünftig in der Optimierung der Baumaterialien hinsichtlich des Ressourcenbedarfs bei der Herstellung und Verwendung. Das Ziel für die Zukunft muss eine möglichst umfassende Kreislaufwirtschaft sein, für die neue Bewertungskriterien gelten (stofflicher, energetischer und logistischer Aufwand im Zyklus). Im Sinne eines ökologisch optimierten Kreislaufansatzes bieten hier die Strategien Wiederverwendung und Weiterverwendung große Potenziale. Es mangelt jedoch bisher an Analysen zur systematischen Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten im regionalen Kontext und der Übertragung auf Anforderungen an zukünftige Neubauvorhaben.

Das Ziel des Forschungsprojektes RE-USE war es, im Landkreis Konstanz die Grundlagen zur regionalen Etablierung einer geeigneten Organisationsstruktur für eine Wieder- und Weiterverwendung im Hochbau zu schaffen und zu dokumentieren. Zudem erfolgte die Analyse des baulichen Bestandes in Konstanz sowie der Hemmnisse, die derzeit die Wiederverwendung von Bauteilen erschweren. Die relevanten Akteure im Landkreis Konstanz wurden bereits früh in das Projekt involviert und untereinander vernetzt. In Abstimmung mit den derzeitigen Abläufen beim Abbruch von Gebäuden, wurden die für die Demontage von wiederverwendbaren Bauteilen erforderlichen, zusätzlichen logistischen Abläufe des Gebäuderückbaus mit den Akteuren abgestimmt. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass im Rahmen des Forschungsprojektes die Planung und die bauliche Umsetzung eines Pilotgebäudes aus Rückbaukomponenten wissenschaftlich begleitet werden sollte.

Das Pilotgebäude, ein Ausstellungspavillon, der zu 100% aus Rückbaukomponenten und (Bau-)Abfällen aus dem Landkreis Konstanz bestehen sollte, wurde mithilfe eines dialektischen Entwurfsansatzes entwickelt, dessen besondere Herausforderung darin bestand, Bauteilakquise und Planungsfortschritt parallel zu bearbeiten und den Entwurf mit fortschreitendem Detaillierungsgrad immer wieder anzupassen und weiterzuentwickeln. Studierende der Architektur und des Bauingenieurwesens nahmen sich dieser Aufgabe gemeinsam an. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte es zwar nicht zur Realisierung des Bauvorhabens kommen, jedoch wurden die bis zur Umsetzung notwendigen Planungsschritte und Arbeitsabläufe dokumentiert. Es entstanden ein 3-D-Modell und ein Präsentationsfilm. Die ursprüngliche Idee des Forschungsvorhabens, mit dem Pilotgebäude ein „Haus der 1000 Geschichten“ zu erschaffen, in dem jedes Bauteil über einen QR-Code seinen Herkunftsgeschichte erzählt, wurde von Studierenden mit verschiedenen Konzeptideen für die Form der Erzählung weiterentwickelt.

Im Verlauf des Forschungsvorhabens entstanden Arbeitsinstrumente, die zukünftig bei der Demontage von Rückbaukomponenten und deren Wiederverwendung im Landkreis Konstanz, aber auch darüber hinaus, eingesetzt werden bzw. als Anregung für zukünftige Rückbau- und Wiederverwendungsprojekte dienen können. Ein RE-USE Baustoff-Lexikon dokumentiert die Verfügbarkeit und Eignung einzelner Baustoffe zur Wiederverwendung. Es ist auf dieser, für das Forschungsvorhaben erstellten, RE-USE Website abrufbar. Außerdem entstand eine RE-USE Map, auf der die Akteure sowie die im Rahmen des Projektes für den Ausbau von Wunschbauteilen genutzten Abbruchgebäude und Transportdistanzen der demontierten Bauteile kartiert sind. Auch eine Übersicht über den aktuellen Gebäudebestand in Konstanz ist dort verzeichnet. Des Weiteren entstand ein virtueller Rundgang durch ein Konstanzer Bestandsgebäude, der es ermöglicht, Informationen zu einzelnen Wunschbauteilen abzurufen (z.B. Bauteilbezeichnung, Maße, geschätztes Gewicht, Ökobilanzdaten, Rückbaumöglichkeit, Wiederverwendbarkeit, Recyclingfähigkeit). Insbesondere bei größeren Abbruchvorhaben, die aufgrund ihrer Größe unübersichtlich sind, kann eine solche Darstellung hilfreich sein, um Demontageabläufe vorab in Absprache mit allen Akteuren zu planen und die auszubauenden Wunschbauteile mit relativ einfachen Mitteln eindeutig zu kennzeichnen. Darüber hinaus konnte ein Netzwerk der lokalen Akteure aufgebaut werden, das, ebenso wie die logistischen Abläufe und die Form der Inventarisierung bei der Dokumentation von Wunschbauteilen, die im Rahmen diese Projektes erarbeitet wurden, auch für zukünftige Demontagevorhaben genutzt werden kann.

Eine wichtige Erkenntnis aus dem Forschungsprojekt ist, dass für eine auf regionaler Ebene optimierte Kreislaufwirtschaft großes Potenzial besteht, das allerdings derzeit noch nicht voll ausgeschöpft werden kann. Mit den Arbeitsinstrumenten, Analysen und Erkenntnissen aus diesem Forschungsprojekt kann aber ein Beitrag für eine  zukünftige Wieder- und  Weiterverwendung von Bauteilen im regionalen Kontext geleistet werden. Dennoch werden die Hemmnisse, die einer umfangreichen Wiederverwendung von Bauteilen aus Bestandsgebäuden derzeit im Wege stehen, ohne politische und wirtschaftliche Anreize nur schwierig zu überwinden sein. Da die Wiederverwendung im Bestandsbau mit großen Hürden verbunden ist, ist es umso wichtiger, aktuelle Bauvorhaben dergestalt zu planen, dass Bauteile später einfacher rückbaubar sind, als dies heute der Fall ist. Material- und Gebäudepässe könnten in dieser Hinsicht vielversprechende Instrumente sein, um das Wissen um die verbauten Materialien und deren Fügungen bereits heute für den späteren Rückbau zu dokumentieren.

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Forschungsleitende These

»Eine auf regionaler Ebene optimierte Kreislaufwirtschaft führt zu einer wesentlichen Verbesserung des logistischen, stofflichen und energetischen Ressourcenbedarfs. Durch einen umfassenden Ansatz im Zusammenschluss aller relevanten regionalen Akteure sowie der Umsetzung eines Pilotgebäudes wird die systematische Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten in der Region Konstanz gefördert.«

 

Ziele

  • Schaffung einer umfassenden Bewertungsgrundlage zum Potenzial der systematischen Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten im regionalen Kontext (Landkreis Konstanz)

  • Realisierung eines Pilotprojektes, das vollständig aus Rückbaukomponenten aus dem Landkreis Konstanz besteht (HAUS DER 1000 GESCHICHTEN)


Ablauf

Das Forschungsprojekt hatte eine Laufzeit von 29 Monaten und war in 4 Etappen gegliedert. Projektstart war im Februar 2019.

  • In der ersten Etappe erfolgte, bezogen auf die Region Konstanz, die wissenschaftliche Analyse der relevanten Akteure sowie der vorhandenen Organisationsstrukturen, der Abfall- und Entsorgungslogistik und der Material- und Stoffströme.

     

 

 

  • Ergänzend wurde die Kartierung der Akteure in einer „RE-USE-MAP“ vorgenommen. Mit dem Fortschreiten des Projektes wurde auch die Verfügbarkeit von Rückbaukomponenten in der RE-USE-MAP vermerkt.

mit Fotos von Christian Witt.

 

  • In der zweiten Etappe erfolgte die wissenschaftliche Begleitforschung zur Realisierung eines Pilotprojektes (Neubau), das zu 100 Prozent aus Rückbaukomponenten und Abfall aus dem Landkreis bestehen sollte. Ziel war die Umsetzung eines voll funktionsfähigen, architektonisch überzeugenden Plusenergiegebäudes („HAUS DER 1000 GESCHICHTEN“). Hierzu wurden in Abstimmung mit den involvierten Akteuren aufeinander abgestimmte Abläufe für den Bauteilrückbau und den Entwurfsprozess entwickelt.



  • In der dritten Etappe wurde exemplarisch ein Bestandsgebäude hinsichtlich seiner Rückbaufähigkeit untersucht. Hierfür wurde ein Hochschulgebäude auf dem Campus der HTWG ausgewählt. Mithilfe von Fotos, Grundrissplänen und dem Design Tool Adobe XD entwickelten Studierende des RE-USE-Teams eine über eine Webanwendung zugängliche, virtuelle Gebäudebegehung, die Informationen zu einzelnen Baukomponenten sichtbar macht (Maße und geschätztes Gewicht, verwendete Materialien, Ökobilanzdaten, Rückbaumöglichkeit, Wiederverwendbarkeit, Recyclingfähigkeit). Der gesamte Rundgang ist abrufbar unter diesem Link.

  • In der vierten Etappe wurden Erkenntnisse aus dem Umgang mit dem Gebäudebestand und deren Übertragung auf Neubauprojekte mit dem Ziel eines Planungsleitfadens abgeleitet.

     

RE-USE Forschungsbericht

John, Viola; Stark, Thomas: Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten (RE-USE): Potenzial zur systematischen Wieder- und Weiterverwendung von Baukomponenten im regionalen Kontext und Realisierung eines Pilotprojektes. BBSR-Online-Publikation 27/2021, Bonn, Oktober 2021.

 

Das Projekt wurde mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert. (Aktenzeichen: SWD-10.08.18.7-18.17)